Alte Kletterhasen haben ein Gefühl dafür, wann es mal wieder Zeit ist, ein Seil zu entsorgen. Ich kenne keinen Kletterkollegen, der tatsächlich Buch führt, wann er sein Seil gekauft hat, wie viele Stürze er damit schon hatte und wie oft in der Woche er damit klettern war. Ich glaube, alle handeln nach dem Prinzip „lieber zu früh als zu spät“. Und ehrlich gesagt, freut man sich auch ein bisschen, wenn man mal wieder ein neues, frisches Kletterseil bekommt und damit klettern kann. Beim Klettergurt kommt bei mir dieses Glücksgefühl eher weniger oft vor. Vielleicht, weil man ihn deutlich seltener in der Hand hat, als das Seil.

"Wie groß ist die Lebensdauer von meinem Kletterseil?" Diese Frage sollte man sich nicht stellen müssen, während man klettert (Fotos: Jens Kleinholz).

„Wie groß ist die Lebensdauer von meinem Kletterseil?“ Diese Frage sollte man sich nicht stellen müssen, während man klettert (Fotos: Jens Kleinholz).

Offizielle Regel für die Lebensdauer des Seils

In einem Heft des Deutschen Alpenvereins (leider eine Ausgabe, die ich nicht mehr finde) gab es eine kleine Tabelle, die hier einen Richtwert geben wollte. Diese Tabelle gab die Haltbarkeit des Kletterseils in Bezug auf die Häufigkeit der Verwendung an und sah etwa wie folgt aus

Häufigkeit der Verwendung ungefähre Lebensdauer
nie 10 Jahre
1 – 2 mal pro Jahr 7 Jahre
einmal pro Monat 3 Jahre
mehrmals pro Monat 3 Jahre
jede Woche 1 Jahr
täglich 6-12 Monate

Haltbarkeit ohne „Zwischenfälle“

Die Werte in der oben genannten Tabelle sind nur Richtwerte, denn auch Stürze im Vorstieg, Belastungen über scharfe Kanten oder lange UV-Bestrahlung können einem Seil so zusetzen, dass man es definitiv früher tauschen sollte.

Ein Seilsack ist eine empfehlenswerte Sache, da es das Kletterseil vor Beschädigungen durch Scherben oder scharfe Steine schützt.

Ein Seilsack ist eine empfehlenswerte Sache, da es das Kletterseil vor Beschädigungen durch Scherben oder scharfe Steine schützt. Auf diese Weise lässt sich die Lebensdauer verlängern.

Gründe für einen sofortigen Tausch

Trotz aller Pflege (ja, man darf Kletterseile auch waschen!) des Seils, gibt es einige Punkte, die dafür sprechen, das Kletterseil sofort einem Künstler oder einer Künstlerin zu vermachen, der/die daraus eine Vase, eine Nachttischlampe oder ein 3D-Bild bastelt, denn zum Klettern sollte man es dann definitiv nicht mehr nehmen.

Diese Punkte sind:

  • der Mantel ist aufgescheuert oder pelzt schon stark
  • das Seil ist in der Nähe von Autobatteriesäure oder andere starken Chemikalien gelagert worden
  • das Seil ist mehrfach gekürzt worden und reicht von der Länge nicht mehr für deine Touren
  • das Seil hat die Anzahl an „Normstürzen“ hinter sich, die auf dem Datenblatt angegeben sind
  • das Handling des Seils ist schwer geworden, weil es zu schwammig oder zu steif geworden ist
  • man kann durch den Mantel erfühlen, dass der Kern eine Macke hat
  • der Seilmantel oder der Kern durch schnelles Abseilen eine Schmelzbeschädigung hat
  • das Seil hat eine Belastung über eine scharfe Felskante hinter sich

Alle diese Punkte würden bei mir im Kopf dafür sorgen, dass ich mich frage, ob man dem Kletterseil im Ernstfall noch vertrauen kann. Und wenn man damit schon anfängt, kann man eigentlich nicht mehr mit freiem Kopf klettern. Aus dem Grund: Lieber ein neues Seil holen.

Gebrauchte Kletterseile – ein No go

Ich stoße in eBay und anderen Kleinanzeigenmärkten immer mal wieder auf Leute, die Kletterseile gebraucht verkaufen. Wenn diese Seile von Leuten gekauft werden, die damit ihren Gartenspielplatz aufmöbeln möchten, kann ich das sehr gut verstehen. Was ich jedoch nicht empfehlen kann, ist, wie man diese Seile noch zum Klettern zu verwenden kann.

Kein Mensch kann einem wirklich verlässlich versichern, was das Seil schon alles mitgemacht hat oder wie alt es ist. Viele Probleme sieht man dem Seil einfach nicht an. So können zum Beispiel Dämpfe von Batteriesäure die Haltbarkeit des Seils sehr stark reduzieren, ohne dass man dem Seil dies ansehen würde.

Möchte man wirklich sein Leben an ein Seil hängen, das eventuell im Ernstfall nichts hält? Es gibt bei Outdoorläden wie Campz schon Kletterseile, die kaum 60 Euro kosten. Wenn ich ein gebrauchtes Seil für 20 Euro kaufe, setze ich mein Leben für sage und schreibe 40 Euro aufs Spiel. Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Es sei denn, man heißt Alex Honnold und nutzt es sowieso nur, um die Hängematte aufzuhängen oder das Auto abzuschleppen. 😉

An der Marienwand im Harz muss man sich wenig Gedanken um Scharfkantenbelastungen machen. Die Steine sind hier alle schön abgerundet und bieten kaum Potenzial für Beschädigungen des Seils.

An der Marienwand im Harz muss man sich wenig Gedanken um Scharfkantenbelastungen machen. Die Steine sind hier alle schön abgerundet und bieten kaum Potenzial für Beschädigungen des Seils.

Kletterseile halten mehr aus, als man denkt

Der Bergsportler Walter Siebert aus Wien hat sich mal die Mühe gemacht und einhundert gebrauchte Kletterseile auf ihre Reißfestigkeit geprüft. Das Ergebnis seines Tests beschreibt er so:

Ich habe mehr als 100 äußerlich unbeschädigte Seile unterschiedlichen Alters auf ihre Festigkeit hin getestet und konnte keine Relation zwischen Alter und Festigkeit feststellen. Auch 50 Jahre alte Seile haben genauso viel gehalten, wie drei Monate alte Hallenseile!

Unterm Strich würde ich den gesunden Menschenverstand zugrunde legen und damit die Entscheidung treffen, wann es Zeit ist, mein Seil zu tauschen. Egal, ob die Haltbarkeit des Kletterseils technisch schon infrage steht: Wenn ich selbst kein Vertrauen mehr ins Seil habe, weil es optische Macken hat oder das Handling zu schwer geworden ist, würde ich immer ein neues Seil holen und damit zum Klettern gehen – das ist man letztendlich auch seinem Kletterpartner schuldig, die oder der meistens auch mit am Strick hängt.