Heute habe ich im Forum von gripfeltreffen.at einen interessanten Beitrag gelesen, bei der es um die Frage geht, ob man ein Halbseil beim Klettern auch als Einfachseil nutzen darf, wenn man im Klettergarten mit kurzen Hakenabständen unterwegs ist oder sogar im Toprope klettert. Dem Fragesteller war schon bewusst, dass die Verwendung eines Halbseils, das NICHT im Doppelstrang eingesetzt wird, vermutlich nicht von offizieller Seite als gute Praxis bewertet wird, aber er wollte ein paar Einschätzungen von anderen Kletterern, die eventuell Erfahrung mit diesem Thema haben.

Wie werden Halbseile geprüft?

Die Halbseile werden nach der Europäischen Sicherheitsnorm EN892 geprüft. Dabei müssen sie einiges aushalten, bevor sie als Kletterseil in den Handel kommen dürfen. Die Prüfungen erfolgen im Einzelstrang (also so, wie der Forenschreiber das Seil nutzen möchte) und erfordern folgende Ergebnisse

  • das Halbseil muss mind. 5 Normstürze (Sturzfaktor ca. 1,7) mit einem Dummy von 55 kg Gewicht aushalten, bevor es reißt
  • hält das Seil über 10 dieser Normstürze aus, darf es als Multisturzseil bezeichnet werden
  • der auftretende Fangstoß darf max. 8 kN betragen
  • bei der statischen Dehnung darf der Wert 12% nicht überschreiten
Halbseile müssen ebenfalls harte Tests bestehen, bevor sie in den Handel kommen. In den meisten Fällen kann man aus dem Grund ein Halbseil im Einzelstrang zum Klettern nehmen (Foto: Pexels/Pixabay).

Halbseile müssen ebenfalls harte Tests bestehen, bevor sie in den Handel kommen. In den meisten Fällen kann man aus dem Grund ein Halbseil im Einzelstrang zum Klettern nehmen (Foto: Pexels/Pixabay).

Man sieht schon, dass auch Halbseile einiges aushalten müssen. Zwar ist das Gewicht bei den Normstürzen mit 55 kg deutlich niedriger als bei einem Einfachseil, bei dem 80 kg schwere Dummys genutzt werden, aber die statische Belastung, die beim Normsturztests simuliert wird, findet in der Praxis eher in Mehrseillängenrouten statt, wenn man im Stand sitzt und nicht dynamisch sichern kann. Wenn der Vorsteiger dann direkt vor oder am ersten Haken stürzt, kann es zu einer solch statischen Belastung kommen.

Ein weiterer Punkt, der klarmacht, dass die Halbseile für diesen Zweck nicht ungeeignet sind, ist die Tatsache, dass bei alpinen Touren bei Halbseilen immer nur ein Strang (abwechseln oder nach Seilrichtung) geklippt wird. Stürzt man in das Seil, hält erstmal sowieso nur ein Seilstrang den Sturz und erst, wenn dieser reißen würde, kommt der andere als Redundanz ins Spiel.

Halbseile sind offiziell zum Sichern eines Nachsteigenden einsetzbar

Der Einsatzbereich eines Halbseils deckt laut der EN892 auch das Nachsichern einer Kletternden ab, der am Einzelstrang aufsteigen darf. Dies zeigt aus meiner Sicht, dass die Halbseile einige Sicherheitsreserven haben. Beim Topropeklettern und bei kurzen Hakenabständen würde ich mir aus dem Grund keine Sorge machen – wenn der Sichernde zudem aufpasst, dass er nicht mit Schlappseil sichert.

Auch bei einem Einfachseil sollte es kein Schlappseil beim Sichern geben – bei einem Halbseil erst recht nicht (Quelle: Screenshot aus DAV Video).

Auch bei einem Einfachseil sollte es kein Schlappseil beim Sichern geben – bei einem Halbseil erst recht nicht (Quelle: Screenshot aus DAV Video).

Kritische Punkte, die man bedenken sollte

Es gibt einige Dinge, die man bei der Verwendung eines Halbseils im Einzelstrang als alleiniges Kletterseil beachten sollte:

  • Bei sehr schweren Kletterern (>100 kg) würde ich vielleicht keinen Vorstieg mit einem Halbseil sichern.
  • Beim Toprope-Klettern ist das Seil beim Ablassen und bei häufigen Stürzen einer hohen Belastung ausgesetzt. Das macht ein Halbseil weniger lange mit als ein Einfachseil.
  • Halbseile sind in der Regel dünner als Einfachseile und laufen dadurch mit weniger Reibung durch Sicherungsgeräte. Es kann sein, dass die Bremswirkung von Smart, Grigri und Co etwas geringer ist, als man es gewohnt ist. Daher: Aufpassen!
  • Ein Halbseil hält bei einem Gewicht von 80 kg maximal 1 bis 2 Normstürze.
  • Halbseile halten einer Scharfkantenbelastung weniger stand.
  • Passiert ein Unfall durch Seilriss und es stellt sich heraus, dass man ein Halbseil als Einfachseil „missbraucht“ hat, könnte es rechtliche Probleme geben.

Empfehlung eines Lesers

Im Forenbeitrag hat noch ein Leser von seinen Erfahrungen und seiner Vorgehensweise berichtet, die ich hier gerne zitieren möchte:

Ich habe schon öfters mit einem Halbseil im Klettergarten geklettert. Im Vorstieg das Seil doppelt genommen und eingebunden (bei 70m-Seil dann bis zu knapp 35m klettern). Als ich am Umlenker/letzten Haken war, habe ich einen Strang von mir losgebunden, mein Sicherungspartner hat das Seil aus den Zwischensicherungen herausgezogen. Dann noch umgebaut bzw. Umlenker eingehängt und ich konnte die 35m wieder abgelassen werden.
Der Nachteil war natürlich, dass es etwas umständlich ist und dass das Seil beim Durchziehen aus den Zwischensicherungen irgendwo hängen bleiben kann.

Das ist vermutlich die vernünftigste Art, wie man ein Halbseil als Ersatz für ein Einfachseil beim Sportklettern einsetzen kann. Wenn es nicht nötig ist, würde ich aber einfach auf ein Einfachseil zurückgreifen und damit klettern – wenn es keine Kletterei ist, die nach Halbseilen oder Zwillingsseilen im Doppelstrang verlangt.